Dienstag, 3. Februar 2015

"Grenzgänger"


Auf der Fahrt von Bodhgaya nach Gaya...
Alle gesundheitlich noch etwas angeschlagen, brechen wir zu dritt am Morgen des 22. Januars von Bodhgaya aus mit dem Tuktuk auf erstmal nach Gaya. Am Bahnhof müssen Luis und ich uns von Georg verabschieden, da es sich für ihn nicht mehr lohnt noch nach Nepal zu fahren, wohin wir wollen und müssen. Wie beruhigend zu wissen, dass ich ihn wiedersehe sobald ich auch zurückkomme. :D
...mit dem Tuktuk
Für uns 2 Übriggebliebenen heißt es nun, so schnell wie möglich zur Grenze, denn wir  sind ja zeitlich eingeschränkt…also Luis zumindest…:D
Das nächste Problem ist, dass wir uns noch immer in Bihar befinden, was bedeutet, dass es für uns ein Tabu ist in der Dunkelheit zu reisen.
Somit unser Plan: Von Gaya aus mit dem Zug (ein letztes Mal indischer Zug…*snüff* :D ) nach Patna, der Hauptstadt Bihars und die Stadt, mit der höchsten Kriminalitätsrate Indiens, dort übernachten und früh morgens mit dem (in Bodhgaya gebuchten) Bus zum Grenzort nach Raxaul, ab über die Grenze und hoffen, dass wir vor 18 Uhr dort ankommen, damit uns noch das nepalesische Visum ausgestellt wird. Ansonsten dürfen wir (eig. Ja nur Luis, mein Indienvisum gilt ja noch bis April, aber irgendwer muss ja auf ihn aufpassen ;) ) irgendwo im Niemandsland übernachten und beten, dass uns ausschließlich liebende Menschen umgeben.
Plan B gibt es nicht.
Der Notfall wird Kreativität erfordern.
Die Realität:
Wir steigen in den Zug nach Patna und bekommen von einem netten, in Patna lebenden Inder seinen Platz angeboten, oder beinahe aufgedrängt. Ein paar Stunden vergehen bis wir unseren Zielbahnhof erreichen. Kurz bevor wir aussteigen wollen, warnt uns jener Inder ebenfalls vor Patna: Gepäck nicht aus den Augen lassen, nicht bei Dunkelheit raus und ja auf uns aufpassen. Meine Vorfreude auf diese Stadt steigt immer mehr…
Nun gut, ich bin überzeugter Optimist, mit dieser Einstellung machen wir uns auf die Suche nach einer Bleibe für die Nacht. Aus dem Bahnhof raus in eine Gasse rein. Ein lautes „Don’t go there!!!“ lässt uns jedoch aufmerken. Ein junger, gut gekleideter Student  läuft auf uns zu und erklärt uns, dass die Gasse zu gefährlich für uns sei und wo wir hinwollen und ob er uns nicht helfen bzw. begleiten darf. Wir zögern, woraufhin er uns schnell erklärt, dass er Design studiert, nicht aus Patna stammt und welchen Weg wir gehen sollen. Wir bedanken uns und folgen seiner Erklärung.  Schließlich kommt er doch ein Stück mit und zeigt uns den Weg. Wir bedanken uns wieder und laufen kurze Zeit später erneut allein weiter. Es dauert einige Meter bis uns unser zukünftiger Fashiondesigner ein drittes Mal einholt und uns diesmal mitteilt, dass er uns einfach nicht alleine durch diese Stadt laufen lassen kann, sie sei ja sogar für ihn nicht allzu sicher. Ich unterhalte mich auf dem Weg gut mit ihm und entwickle erstaunlich schnell Vertrauen in ihn. Wir sind merklich auf einer Wellenlänge, was zu vielen lustigen Momenten führt. Endlich finden wir ein Hotelzimmer, zwar ein fürchterliches und dazu noch maßlos überteuertes, aber wir haben keine Zeit mehr zu suchen, da die Sonne bereits untergeht. Der Designstudent verabschiedet sich mit dem Versprechen uns am nächsten Morgen um 5 Uhr vom  Hotel abzuholen und uns in den Bus zu setzen. Zugegeben wir sind überwältigt von so viel Fürsorglichkeit und etwas unsicher ob er sein Versprechen halten wird.
Punkt 5 Uhr klopft es an der Tür und wir sind noch überwältigter als wir hören, dass unser Bodyguard (oder doch Babysitter?) die Nacht durchgemacht hat und notfalls auch seinen Unterricht schwänzt um sicher gehen zu können, dass wir auch wirklich in den richtigen Bus steigen, der uns über die Grenze in Sicherheit bringen wird... Er ist echt klasse! Nach beginnender leichter Verzweiflung, der Bus könnte nicht kommen oder schon weg sein, fährt er endlich mit ca. einstündiger Verspätung vor. Mein neuer Lieblingsinder setzt uns wortwörtlich in den Bus, vermisst uns schon jetzt und freut sich uns so gut wie sicher zu wissen ;)  Die Busfahrt verläuft dann glücklicherweise ohne bemerkenswerte Zwischenfälle und wir erreichen nachmittags den Grenzort. Hier werden wir sofort von einem älteren (Fahrrad-)Rikschafahrer aufgegabelt, der uns erstmal zum indischen Grenzbüro fährt, so dass wir die Formalitäten erledigen können.
Mein Traumauto (obwohl ich noch Blumen draufgemalt hätte)
Während ich also das Gepäck hüte und darauf warte, dass Luis die indische Bürokratie bewältigt und mich ablöst, fährt plötzlich ein grasgrüner alter VW-Bus mit Deutschlandflagge auf der Windschutzscheibe auf mich zu und ein ziemlich missmutig wirkender 2-Meter-Mann mit langen Locken steigt aus und lässt sich von unserem Fahrer das Büro zeigen. Dank Kennzeichen sehe ich nun auch woher der Bus kommt: Kronach… Endlich kommt Luis zurück und ich darf los um mir meinen Stempel zu holen. Im Office treffe ich wieder auf den Lockenmann aus Kronach, grüße ihn und frage: „Kronach?“-„Ja?!“- „Erlangen!“- „Oh, hey!“ :D Wenig später holt er noch seine Freundin und erklärt ihr mit Blick auf mich: „Erlangen!“ (Ich: „Jap, Erlangen.“ Sie: „Oh! Fürth!“) So also unsere erste Konversation schließlich sind alle Formalitäten geklärt und sowohl wir als auch das VW-Bus-Pärchen überqueren endlich die Grenze nach Nepal.

Zu Indien bleibt mir nun so viel zu sagen:
Man hört die Leute immer sagen, entweder du liebst oder du hasst Indien. Anfangs habe ich mir darüber ernsthafte Sorgen gemacht…Was wenn ich Indien hassen würde? Wo würde ich hingehen? Wie sollte ich das Land dann ertragen, solange ich dort bin?
Aber es kam anders: Ich hasse Indien nicht, soviel ist sicher. Aber Lieben tue ich Indien genauso wenig. Am ehesten trifft vielleicht zu, dass mich dieses Land, das so viele verschiedene Gesichter hat, einfach fasziniert, sowohl in positiver als auch in negativer Hinsicht.
Ich habe nicht direkt negative Erfahrungen gemacht bezogen auf mich (ich wurde ja gehütet wie ein Augapfel), aber ich habe Dinge sehen müssen, die mir manchmal das Herz zerreißen wollten, und genauso durfte ich nur kurz später Dinge erleben, die mein Herz haben tanzen lassen.
Ich werde wohl irgendwann erneut Indien bereisen, das Land, dass ich weder lieben noch hassen kann.



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